In 2025 habe ich zwei Sachen verhandelt, über die ich – leicht abgewandelt und stark anonymisiert – berichten möchte. In beiden Fällen geht es um sich sorgende Mütter, die den gleichen Fehler gemacht haben. Den zweiten Fall finden Sie hier.
Die Situation: nächtlicher Polizeibesuch und schwerer Vorwurf
Es gab da also eine alleinerziehende Mutter und ihren Sohn. Er war 16 Jahre alt.
Samstagnacht um 2 Uhr klingelte es an der Wohnungstür. Die Polizei war da – sechs nicht ganz so freundliche Beamte. Sie eröffneten der verschlafenen kleinen Familie den Vorwurf: Der Sohn soll eine Vergewaltigung und schwerer sexueller Missbrauch einer 13-Jährigen begangen haben. In seinem Jugendzimmer, Freitagnachmittag.
Ermittlungen und erste Fehler
Und die Polizei zog das „volle Programm“ in diesem Fall durch: Hausdurchsuchung, Handy beschlagnahmt, rechtsmedizinische Untersuchung des Sohnes (DNA?) und es wurde Bettwäsche (Star Wars) beschlagnahmt. Und natürlich bot die Polizei an, den Sohn gleich nachts um 4 Uhr zu vernehmen. Spart ja auch Wege, wenn man nicht nochmal zur Polizei muss. (Muss man nicht, aber wird so gesagt.)
Die zur Polizei nachgeeilte Mutter und Sohn reden also über die Vernehmung. Die Mutter will, dass der Sohn aussagt. Der Sohn sagt: „Ich habe nichts gemacht Mama. Ich will aber nicht mit der Polizei reden.“ Beide berichteten später, dass es noch ein paarmal hin und her gegangen sei, weil der Sohn nicht mit der Polizei sprechen wollte, die Mutter aber darauf bestand. Der Kompromiss war dann, dass die Mutter sowohl auf ihre Anwesenheit als auch die Anwesenheit eines Anwalts (Polizei: wo sollen wir da jetzt einen herbekommen? Hier!) verzichtete, damit der Sohn „in Ruhe“ aussagen kann.

Die Vernehmung und ihre Folgen
Der Sohn lässt sich also von zwei erfahrenen Beamten vernehmen. Er wird in die Mangel genommen („Die haben mich angeschrien.“) und räumt nach über einer Stunde Druck einvernehmlichen Vaginalverkehr ein. Er betont: Aber es war ihre Initiative, das wird wenigstes notiert – das Anschreien natürlich nicht.
Im weiteren Verfahren kommt dann heraus: Ein sehr wütender Vater hat die eigene Tochter zur Polizei geschleppt, um dort die vermeintliche Vergewaltigung anzuzeigen. Besagter Vater ist dann weiter so wütend, dass die Tochter vom Jugendamt aus der Familie genommen wird. Danach weigert die Tochter sich Angaben zur Sache zu machen. Die Staatsanwaltschaft macht keine Anstalten sie zu zwingen.
Wenn keine Angaben duch den Sohn gemacht worden wären, wäre das Verfahren jetzt wahrscheinlich vorbei gewesen: denn Dank Verwendung eines Kondoms (Präservativ, wie der BGH gerne sagt – nicht gefunden!) waren die DNA-Spuren letztlich nicht eindeutig und die Handyauswertung brachte keine Beweise auf das konkrete Geschehen.
Jugendstraf-verfahren und Verteidigung
Aber: Mamas guter Junge hatte ja eingeräumt, einvernehmlich mit der 13-Jährigen verkehrt zu haben.
Also: Anklage zum Jugendschöffengericht. Dann endlich: Wir brauchen vielleicht mal einen richtigen Anwalt! (Der Pflichtverteidiger vorher hat im Wesentlichen mitgeteilt, es werde schon alles gut werden und sonst nichts veranlasst).
Dann bei mir in der Aktenbesprechung im Sommer 2025 große Bestürzung bei allen. Bei der Mutter: MEIN SOHN HAT SEX!? Beim Sohn: Ich kann jetzt überführt werden, weil MAMA MICH ZUR AUSSAGE GEZWUNGEN hat? Und Beide: Äh, dafür kann man INS GEFÄNGNIS KOMMEN?
Ich habe den Mandanten dann erstmal zu einem Angebot für junge Männer geschickt. In Hannover wäre es das Männerbüro Hannover gewesen. Dort wird Arbeit mit sexualisiert grenzverletzenden Jungen und männlichen Jugendlichen angeboten und mein Mandant hat begonnen eine solche Sozialtherapie zu machen.
Selbstverständlich hat sich der Vater der Geschädigten als Nebenkläger mit einem Anwalt Ende Sechzig legitimiert und versuchte darüber, die Situation für meinen Mandanten erheblich zu verschlimmern. Die Geschädigte war weiter nicht bereit irgendwie mitzuwirken, weshalb auch ein von mir vorbereitetet Täter-Opfer-Ausgleich ins Leere lief. Das Jugendamt teilte aber mit, dass es dem Mädchen gut gehe – wenigstens das.
Dann die Hauptverhandlung: Mein Mandant musste einräumen, was er bei der Polizei ausgeplappert hatte. Weiter darf und will ich hier nicht viel berichten, denn die Hauptverhandlung ist bei jugendlichen Angeklagten nicht öffentlich. Nur so viel: Nebenklage und Staatsanwalt kämpften Arm in Arm für eine harte Bestrafung meines Mandanten.
Das Ergebnis war durchwachsen: Das Gericht ist meinen Antrag nach § 176 Abs. 2 StGB von der Bestrafung meines Mandanten abzusehen, nicht gefolgt und hat ihn dazu verurteilt, die Sozialtherapie fortzusetzen. Es ist aber auch nicht den Bestrafungsfantasien der anderen Beteiligten nachgekommen. Das Urteil ist dann – nach einem unzulässigen Rechtsmittel der Nebenklage – rechtskräftig geworden.
In der Folge musste der Mandant die Sozialtherapie fortsetzen, was ihm gutgetan hat. Es droht aber – auch noch in Jahrzehnten – eine Klage der Geschädigten auf Schmerzensgeld oder Schadensersatz.
Die Rolle der Mutter
Besonders tragisch war alles für die Mutter des Mandanten. Sie war zum einen schockiert, dass „ihr Junge“ ein Sexualleben hatte (und hat). Besonders hart aber hat sie getroffen, dass Sie es war die die Situation für ihren Sohn stark erschwert hatte. Die Kosten für die Verteidigung, die Demütigungen im Rahmen der Ermittlungen (Erkennungsdienstliche Behandlung) und der Hauptverhandlung und die mögliche Klage in den „kommenden Jahrzehnten“, all das wäre ihrem Sohn erspart geblieben, wenn Sie das einzig richtige gemacht hätte:
Wenn die Polizei das eigene Kind als Beschuldigten vernehmen will, sagt man nein. (Und sucht sich einen echten Strafverteidiger).
Fachanwalt Daniel Brunkhorst ist Strafverteidiger aus Hannover.
Er ist Spezialist für Sexualstrafrecht und in Jugendstrafsachen genauso zuhause.
Eltern haben eine Schutzfunktion gegenüber ihren Kindern – auch im Strafverfahren. Viele übersehen, dass die Polizei nicht dazu da ist, das Kind zu schützen oder aufzuklären, sondern den Tatvorwurf zu beweisen und den Jugendlichen zu überführen. Wer sein Kind vorschnell zur Aussage drängt, verschlechtert oft massiv dessen Verteidigungschancen.
Eine begleitende Sozialtherapie kann die Situation jugendlicher Beschuldigter deutlich verbessern. Gerichte werten die Teilnahme positiv, da sie zeigt, dass der Jugendliche Verantwortung übernimmt und an seinem Verhalten arbeitet. Ich unterstütze Mandanten dabei, passende Angebote wie Beratungsstellen oder spezialisierte Einrichtungen zu finden.
Ja. Jede Aussage bei der Polizei wird protokolliert und kann im Strafverfahren gegen den Jugendlichen verwendet werden. Selbst wenn Druck oder Überforderung eine Rolle gespielt haben, bleibt die Aussage verwertbar, solange kein Verteidiger eingeschaltet war.
Welche Folgen kann ein Geständnis bei Sexualdelikten im Jugendalter haben?
Ein Geständnis bei Sexualdelikten im Jugendalter kann zu einer Anklage und Verurteilung führen, selbst wenn keine weiteren Beweise vorliegen. Die Aussage wird vor Gericht verwertet und kann den Ausgang des gesamten Verfahrens bestimmen.
Bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch gegen Jugendliche werden in der Regel Hausdurchsuchungen, Handy- und DNA-Auswertungen sowie polizeiliche Vernehmungen durchgeführt. Schon zu Beginn ist die Verteidigung entscheidend für den weiteren Verlauf.
